
Letztes Jahr habe ich den Bundesvision Song Contest geschaut, der bis auf wenige Ausnahmen an fragwürdigen Beiträgen fast gar nicht zu überbieten war aber das ist ein anderes Thema. Wir haben in Deutschland 16 Bundesländer und es gingen tatsächlich nur zwei weibliche Künstlerinnen an den Start, Kitty Kat und Miss Platnum - und mit Handwerk hatte das bei den beiden auch leider wenig zu tun. Die Frauenquote lag also bei 12,5 %, Respekt! Gewonnen hat bei den insgesamt 10 Ausgaben bisher eine Band mit einer Sängerin und das waren „Juli“ im Jahr 2005!
Ja, jetzt könnte man sagen, es geht nicht darum ob Mann oder Frau, es geht um die musikalische Qualität. Diese Aussage würde ich sofort unterschreiben - nur leider geht es nicht darum! Da tummeln sich Clueso - Imitatoren en masse und werden im Radio rauf und runter gespielt und keiner kann sie mehr unterscheiden.
Gerade eben hab ich einen Song gehört und dachte: aah, klingt sehr nach Philipp Poisel - nee, heißt aber Joris und wird momentan sehr gehypt.
Ich gönne dem Jungen das sehr, aber bei seiner Musik von musikalischer Vielfalt in der deutschen Musiklandschaft zu sprechen wäre doch eher übertrieben, alles schon gehört, smarter Typ mit Kratze-Stimme erobert die Mädchenherzen. Ich will gar nicht in Frage stellen, dass die Texte und Musik nicht gut sind, ich mag selber einige Songs dieser Jungs aber mir kann keiner erzählen, dass wir hier in Deutschland nicht auch tolle Künstlerinnen haben, die tolle Texte haben und tolle Musik machen.
Ich gucke gerade in die Top 100 der deutschen Singlecharts. Momentan sind dort 15 deutsche männliche Künstler und 2 (!) deutsche Künstlerinnen vertreten - Helene Fischer und Leslie Clio. Schlimm genug dass wir nicht mehr deutsche Künstler ganz allgemein darin vertreten haben aber ZWEI deutsche Interpretinnen in den deutschen Singlecharts? Das wäre dann eine deutsche Frauenquote von 2% in dieser Woche, wenn das mal nicht eine Leistung ist. In den Top 50 der Albumcharts sieht es ähnlich aus, 12 deutsche männliche Künstler und mit - Überraschung - Helene Fischer eine weibliche Künstlerin, Frauenquote liegt hier dann ebenfalls bei 2 %!
Warum mir das auch so stark auffällt ist vielleicht, weil ich in den Niederlanden studiert habe. Dort ist sicher auch nicht alles besser aber um ihre vielfältige Musiklandschaft, die Förderung von Newcomer verschiedenster Genres und vor allem dabei egal ob die Künstler männlich oder weiblich sind, können wir unsere Nachbarn echt bewundern. Ich könnte nun ganz spontan zehn niederländische Sängerinnen aufzählen, die alle völlig unterschiedliche Musik machen und seit Jahren erfolgreich im Radio gespielt und auch sonst gefördert werden, also längerfristig erfolgreich sind (da die hier allerdings mit Ausnahme von Caro Emerald und Anouk nicht bekannt sind, lasse ich das jetzt mal). Ich hatte nie das Gefühl, dass das Geschlecht dort eine Rolle spielt sondern es meistens wirklich um die Musik geht. Diese zehn würde ich in Deutschland nicht zusammen kriegen.
Versteht mich nicht falsch, ich finde Quoten blöd, ich finde die gute Musik sollte sich durchsetzen und bin gegen Frauenquoten in der Musik - denn nur etwas aus einem Prinzip oder Gesetz heraus zu fördern sehe ich als nicht hilfreich an. Aber liebe deutsche Plattenfirmen, liebe Booker, lieber Veranstalter, liebe Radiostationen, was genau ist das Problem mit weiblichen Künstlerinnen? Ich versteh es wirklich nicht und ich verstehe auch nicht, dass das irgendwie nie Thema ist, ich habe selber von fast noch niemandem in meinem Musiker-Bekanntenkreis gehört, dass wir mehr Frauen in der Musik fördern sollten. Stehe ich also mit meiner Meinung alleine da oder ergab sich dafür nur noch nie die Gelegenheit?
Hand auf´s Herz: wir haben außer Helene Fischer keine Sängerin, die ansatzweise so erfolgreich ist wie die Schlagerkönigin, die viel im Radio gespielt wird, die 2000+ Hallen füllt. Es gibt Cäthe, Annett Louisan, Joy Denalane, Stefanie Heinzmann und die Mädels von BOY und abgesehen davon, dass die auch nicht alle kommerziellen Erfolg haben oder ihren Zenit schon seit längerem überschritten haben, hört es da doch auch schon auf.
Auf männlicher Seite gibt es Clueso, Bosse, Philipp Poisel, Johannes Oerding, Casper, Pohlmann, Peter Fox, Adel Tawil, Andreas Bourani, Tim Bendzko, Joris, Xavier Naidoo, Sasha, Mark Forster, Gregor Meyle, Max Herre, Sido, Jan Delay, Gentleman, Roger Cicero und die alten Hasen wie Peter Maffay, Herbert Grönemeyer, Marius-Müller Westernhagen und Udo Lindenberg, die auch nach 30 Jahren noch erfolgreich sind.
Alle habe ich sicher nicht aufgezählt und mit Bands habe ich erst gar nicht angefangen…ich hoffe, spätestens jetzt fällt auch dem letzten Zweifler meines Standpunktes auf, dass hier irgendwas nicht stimmt.
Ich persönlich kenne viele tolle Künstlerinnen und Kolleginnen, die eigene Musik machen und die locker mit dem gängigen Radiogeplänkel mithalten können - um nur einige davon zu nennen: Sofia Stark, Nora Becker, Linda Kauffeldt („Takadoon“), Ina Bredehorn („Deine Cousine“), Buket, Ania Jools, Charlotte Brandi („Me and my drummer“), Katharina Vogel, Miu (und mich selbst zähle ich auch diesem Club zu)… und das sind nur die Spontaneinfälle gerade aus meinem Hamburger Dunstkreis, ein Bruchteil von dem Potenzial was sich in Deutschland an weiblichen talentierten Künstlerinnen tummelt.
Aber nee, stattdessen bekomme ich so wie einige andere dieser tollen Mädels letzte Woche eine Einladung zum nächsten Popstars - Casting, nein danke! Musikdeutschland muss noch viel lernen!